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2008-08-20

Die Kreistagskasper: So macht Politik wieder Spaß! (Oberlausitzer Kurier)

Wie die Fußball-Fans nach dem Start der Bundesliga lechzen, sehnt sich der Lokalpolitiker nach dem Ende der Sommerpause. Dann wird wieder argumentiert, gestaltet, finanziert, beantragt, zurückgewiesen, abgelehnt und beraten. Auf seiner ersten Sitzung hat der neue Kreistag jetzt in Sachen Unterhaltungswert neue Maßstäbe gesetzt.


Bautzen. Wer am vergangenen Montag nach einem unterhaltsamen Filmchen im Fernsehen suchte, wurde (mit einer Ausnahme) enttäuscht. Weder die „Schneeleoparden – Geister des Hindukusch“ (ARD), noch „Dirty Dancing“ (Sat 1), schon gar nicht die dreimillionste Folge von „Wer wird Millionär? (RTL) und der Mysterykrimi auf ProSieben setzten glanzvolle Höhepunkte. Allein die „Die Könige der Nutzholzgewinnung“ auf ZDF hätte man sich anschauen können.

Gisbert Hiller, Kreisrat von Bündnis 90/Grüne, hatte sich bereits auf die Sozialkomödie gefreut. Allerdings wartete die erste Sitzung des neuen Großkreistages mit einer Überlänge auf: Ganze fünf Stunden wurde getagt, erst gegen 22.15 Uhr verließen die letzten Politiker das Landratsamt. Klar, dass Hiller, auch als „Oberlausitz-Ranger“ bekannt, den Film verpasste. Was natürlich nicht sonderlich schlimm war, denn zum einen laufen im Fernsehen sowieso nur Wiederholungen. Zum anderen gab die Sitzung ein derart glanzvolles Programm ab, dass sich zwar die meisten Besucher (es waren wirklich welche da!) und auch einige Kreisräte über die Maßen entsetzt zeigten. Künftig dürfte jedoch der hohe Unterhaltungsfaktor die Besucher in Scharen ins Landratsamt führen. Dumm nur, dass eine Mehrheit der Kreisräte beschloss, lediglich vier Mal im Jahr zu tagen.

Vor allem Henry Nitzsche (Bündnis Arbeit, Familie, Vaterland) und Gerhard Lemm (SPD) brachten mit ihren Beiträgen Würze in die politische Diskussion.


Aber dann, so darf erwartet werden, geht es richtig zur Sache. Hatte der alte Bautzener Kreistag aufgrund mangelnder rhetorischer Höchstleistungen und seltener Wortgefechte stark in der Zuschauergunst an Boden verloren, befinden sich unter den Kamenzer Polit-Exporten einige Kreisräte mit einem größten anzunehmenden Plauderfaktor.

Das gefällt umso mehr, je weniger Wert man auf inhaltliche Substanz denn auf verbales Säbelrasseln und – wenn dazu nicht in der Lage – wenigstens auf klares Beschimpfen des politischen Gegners legt. Man könnte diese Kreistagskasper ohne Gewissensbisse als solche bezeichnen, ohne die hehre Stellung dieses demokratischen Amtes mit Füßen zu treten – denn dies taten einige Abgeordnete mit ihren Redebeiträgen bereits ohne fremdes Zutun.

Zu jenen, die ordentlich auf den Putz hauten, gehörte unter anderem Henry Nitzsche vom Bündnis Arbeit, Familie, Vaterland, der mit drei Mitstreitern im Kreisparlament sitzt. Das mag auch daran gelegen haben, dass Landrat Michael Harig ihm beim Händeschütteln nach der Vereidigung der Kreisräte ein „Hau rein“ mit auf den Weg gab. Und Nitzsche haute rein. Wer von Nitzsches Bündnis übrigens jeweils für Arbeit, wer für Familie und wer für das Vaterland zuständig ist, war von Nitzsche auf Nachfrage nicht zu erfahren. Zunächst ging es Nitzsche auch nicht um Arbeit, Familie und Vaterland, sondern darum, gegen den Beschluss zu wettern, die Kamenzer Landrätin Petra Kockert in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Sie solle sich lieber als Koordinatorin für die Verteilung des kostenlosen Schulessens nützlich machen, so Nitzsche.

Nicht minder wortstark gebärdete sich der Fraktionschef von SPD/Grüne, Gerhard Lemm, sonst Radeberger Bürgermeister. Er sorgte mit seinen wortreich gestellten Anträgen, Zwischenrufen, Auszeiten, Antworten und vor allem Disputen mit Henry Nitzsche dafür, dass Leben in den sonst eher drögen Kreistag kam. Es gab nichts, wozu Lemm nichts zu sagen hatte. Meist sogar mehrfach.

Da waren die Bautzener CDU-Rhetorik-Talente Thomas Martolock (Bürgermeister von Cunewalde) und Vinzenz Baberschke (Bürgermeister von Radibor) nahezu komplett abgemeldet. Und auch der Bautzener Finanzbürgermeister Michael Böhmer schaute zunächst etwas verduzt, als er beim gewohnt ruhigen Vortrag von Argumenten von Lemm scharf angepfiffen wurde, er solle doch lauter sprechen. Ja, weiß denn der Lemm nicht, wer der Böhmer ist? Bislang hatte es noch kein Kreisrat je gewagt, in diesem Ton mit dem einflussreichen Bautzener Bürgermeister zu sprechen. Böhmer nahm den groben Ton zur Kenntnis – und sprach einfach etwas lauter. „Mit dem werden wir noch unsere Freude haben“, meinte eine Besucherin über den SPD-Lemm.

Freude dürften neben Nitzsche auch die fünf Abgeordneten der NPD an diesem Abend empfunden haben. Anders als in den restlichen sächsischen Kreisparlamenten erhalten sie in Bautzen Fraktionsstatus. Ein Antrag der SPD/Grünen-Fraktion, die Fraktionsstärke müsse mindestens sieben Mann betragen, wurde von der Kreistagsmehrheit abgelehnt. Mit Argumenten statt Geschäftsordnungskniffen, so CDU-Fraktionschef Matthias Grahl, müsse man der NPD begegnen. Laut Kamenz Bürgermeister Roland Dantz sei es eine Stärke der Demokratie, das Wahlergebnis anzunehmen. „Auch wenn das vor den leidvollen Erfahrungen im 20. Jahrhunderts nicht einfach ist.“

Statt in der Pause mit einem frischem Landkron-Bier auf ihren Erfolg anzustoßen, übten sich die NPD-Kreisräte um ihren Kamenzer Anführer Mario Ertel in Zurückhaltung. Während fast alle anderen Kreisräte freudig auf die alkoholische Erfrischung zurückgriffen, ließen sich Ertel & Co. die Bockwurst trocken schmecken.

Die neue Hauptsatzung des Landkreises Bautzen? Nein, das Bibelheft ist lediglich ein Geschenk von Bibelgärtner und Kreisrat des Bündnisses Arbeit, Familie, Vaterland, Maik S. Förster, an alle Kreisräte.

Vielleicht lag es auch an der Enttäuschung darüber, von Landrat Harig nicht zu einem Treffen des Ältestenrates eingeladen worden zu sein. Das fand Mitte August mit allen Fraktionschefs statt. Die NPD, die laut ihrem Mitglied Frank Lüdke „überraschend viele Gemeinsamkeiten mit der CDU“ feststellte, war allerdings nicht eingeladen, erhielt später eine „Privataudienz“ bei Harig. Lüdke selbst hatte es übrigens einem glücklichen Umstand zu verdanken, dass er doch noch in den Kreistag einziehen konnte: NPD-Mitglied Frank Ertel, der eigentlich in den Kreistag gewählt wurde, war vor der ersten Sitzung sein hohes Alter von 68 Jahren aufgefallen. Deshalb trat er das Mandat gar nicht erst an, was bei den übrigen Parteien für Empörung sorgte. „Ist ihm sein Alter erst nach der Wahl aufgefallen?“, fragte sich etwa Gerhard Lemm. Ansonsten gaben sich die Braunen zur ersten Sitzung brav, im Gegensatz zu Henry Nitzsche klatschten sie auch brav Beifall, etwa bei der Regierungserklärung, die Harig sich spontan über das Wochenende erarbeitete hatte („Eigentlich wollte ich wegen der Länge der Tagesordnung gar keine halten.“) Von der NPD-Bürgerwut im Kreistag war zumindest an diesem Abend nichts zu spüren, man ließ sich nicht einmal zu einem Redebeitrag hinreißen.

Ohne Bier, ohne Bürgerwut, ohne Frank Ertel: Die NPD-Abgeordneten im neuen Kreistag.

Fazit der ersten Sitzung: Vom „guten Geist“, den Landrat Harig in seiner Erklärung beschworen hatte, war nichts zu spüren, vielmehr wurde von einigen Kreisräten Entsetzen über den Umgang der Räte miteinander konstatiert. Eine Einschätzung, die sich auch eine Besucherin anschloss: Der Kreistag sei zu einem Kasperle-Theater verkommen, für das man eigentlich Eintritt zahlen müsste. Man kann es auch anders sehen: Der Kreistag bietet ab sofort eine tolle und kostenlose Alternative zum Montagabend-TV-Programm an. Die regionale Politik erhöht damit ihren Spaßfaktor. Ob das gut ist, sei dahingestellt. Die nächste Sitzung findet am 15. September, 17.00 Uhr, statt.