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Sächsische Zeitung - Magazin Karsamstag 2012

Klein-Israel in Oberlichtenau

Der Weg ins Heilige Land führt durch idyllische Hügel, grüne Wiesen, endlose Felder. Das Ziel: Oberlichtenau bei Pulsnitz in der Oberlausitz. Unterhalb eines Barockschlosses erstreckt sich eine biblische Landschaft. Drei Holzkreuze, wie sie auf Golgatha gestanden haben könnten, ein alttestamentarischer Altar, ein Felsengrab, der runde Stein halb zur Seite gerollt. Weiter unten schieben zwei Männer Schubkarren hin und her. In einem Steinhäuschen entsteht ein Ofen zum Brotbacken. Von links kommen schabende Geräusche. Ein ehemaliger Kuhstall wird zum Museum ausgebaut. Bald sollen Besucher hier ein Panorama von Jerusalem sehen: der klassische Blick vom Ölberg auf die Altstadt. Der Bibelgarten expandiert.
Alles begann Ende der Neunzigerjahre. Maik Förster, heute 47 Jahre alt, vier Kinder, Schnauzer und freundliche Stimme, verdiente seine Brötchen als Reiseführer durch biblische Länder. Hebräisch spricht er  nicht, Englisch kaum, dafür den Oberlichtenauer Dialekt, „Eberlichtsch, das klingt wie Jiddisch“. Im Jahre 2000 beginnt die zweite Intifada, der gewaltsame Konflikt zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften bringt den Tourismus nach Israel fast zum Erliegen. Maik Förster denkt sich: Warum nicht zu Hause in Sachsen ein kleines Israel aufbauen, ohne Panzer und Raketen. Eine Art Freilichtmuseum mit Elementen aus der Bibel. Auf einer seiner Reisen, in En Kerem, der Stadt Johannes des Täufers, hatte Maik Förster einen solchen Bibelgarten gesehen.
Schon lange hatte die Gemeinde Oberlichtenau über eine Nutzung des Geländes unterhalb des Barockschlosses nachgedacht, mehrere Tausend Quadratmeter verwildertes Land. Reihenhäuser will man bauen. Da kommt dieser Typ und faselt etwas von einem Bibelgarten. Die Oberlichtenauer fassen sich ans Hirn. Es gibt viel Spott im Dorf, von einem „Disneyland für Fromme“ ist die Rede. Die Leute fragen: Warum soll man in einer barocken Schlossanlage ein Grab von Jesus nachbauen? Förster ist um keine Antwort verlegen: „Als damals nach 30 Jahren Krieg Europa und seine Seelen kaputt waren, wollte die Architektur des Barock auf die Herrlichkeit des Himmels verweisen – passt doch wunderbar zusammen.“
Langsam überzeugt Förster seine Skeptiker. Von der EU kommen Fördermittel. Biblische sieben Jahre vergehen von der Idee bis zur Eröffnung. Am 8. Juni 2005 ist es so weit. Seitdem zählt Maik Förster jedes Jahr rund 5000 Besucher. Die größte Gruppe sind die Katholiken. Für die Religiösen Kinderwochen hat die Katholische Kirche den Bibelgarten zum Pilger- und Wallfahrtsort erklärt. Der CDU-Regionalverband hat schon sein Sommerfest im Bibelgarten veranstaltet. „Für die ist es auch mal interessant zu hören, wo das C in ihrem Namen eigentlich herkommt“, sagt Förster

Der Rundgang durch den Bibelgarten beginnt an einer byzantinischen Basilika im Miniaturformat. Zwei mal zwei Meter beträgt der Grundriss, mehr als einmal Umdrehen ist da nicht drin. Anhand des Baustils erklärt Maik Förster das frühe Christentum: die Ausrichtung des Altars nach Osten, die Symbolik des Grundsteins. Weiter geht es in die Richtung, wo der Bibelgarten aussieht wie ein Abenteuerspielplatz, vorbei an Schafstall und Ölkelter zu einem Hebekran, wie er im alten Israel für tonnenschwere Lasten verwendet wurde. Links davon steht ein Brandopferaltar. Maik Förster erklärt dessen zweite Funktion: Wer aufgrund eines Vergehens oder der Blutrache in Lebensgefahr war, konnte hier Zuflucht suchen. Dann stand er unter Gottes Schutz und hatte das Recht auf eine Urteilssprechung. „Das erste Amtsgericht“, sagt Förster. Eine Schrifttafel fragt: „Weißt du wohin mit deiner persönlichen Schuld?“
Bei manchen Themen sei es früher schon mal vorgekommen, dass Theologen ihn für seine hobbytheologischen Erklärungen gerügt hätten. „Aber heute stimmt alles“, sagt Maik Förster. An den drei römischen Holzkreuzen wird es drastisch. Der Bibelgärtner schildert, wie die Gekreuzigten einen qualvollen Erstickungstod erlitten. Um das Leiden zu verlängern, gab es sogenannte Sitzbalken, so konnten die Opfer immer neu Luft holen. Manchmal sagen Lehrer, die mit ihren Schulklassen nach Oberlichtenau kommen: „Sie können den Kindern doch nicht so brutale Sachen erzählen.“ Maik Förster sagt: „Die sind ganz Anderes gewohnt.“
Neben dem Parkplatz hat er einen großen Grillplatz gebaut. Viele Familien kommen am Wochenende aus Dresden zum Ausspannen her, erzählt er. Sie wollen nicht beten, sie wollen nur grillen. Maik Förster ist das einerlei, er will nicht missionieren. Gast ist Gast. Wer länger bleiben will, kann im Gästehaus übernachten, hier gibt es Zimmer mit Jugendherbergsstan- dard für 15 Leute. Manchmal kommen auch Muslime, meist reine Männergruppen. Bei Schulklassen stellt Förster oft fest, dass muslimische Kinder viel besser Bescheid wissen als deutsche: „Die kennen sich nicht nur mit ihrer eigenen Religion aus, sondern auch mit unserer.“
2007 erreichte Förster mit seiner Miniatur-Basilika den siebten Platz beim Wettbewerb um den Deutschen Tourismuspreis. Zwei Jahre darauf ernannte der sächsische Umweltminister Frank Kupfer den Bibelgarten zur besten Urlaubsadresse auf dem Lande. Im Lokalteil der Zeitung steht Maik Förster seitdem öfter als Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der aus derselben Gegend stammt.
Die anfänglichen Vorbehalte der Oberlichtenauer sind längst verflogen. Die Bewohner wissen jetzt: Sie haben etwas, das andere nicht haben. In Deutschland ist der Bibelgarten einzigartig. Und: Mit der Bibel lassen sich gute Geschäfte machen. Von den Gästen profitiert auch die Gastronomie im Ort. Aufträge vergibt Maik Förster grundsätzlich an örtliche Handwerker.

Mit 16 Jahren hatte Maik Förster sein Erweckungserlebnis. In der Schule war er keine Leuchte, er schlug sich irgendwie so durch. Eines Tages kam der Dresdner Pastor und Jugendevangelist Theo Lehmann nach Pulsnitz. Er riet den Jugendlichen, „den lieben Gott mal auszuprobieren“. Das kam Förster gerade recht. Soll Gott doch zeigen, was er drauf hat, dachte er sich, und übergab die Verantwortung für seinen Schulerfolg in Gottes Hand. Er schloss das Schuljahr mit der Bestnote ab. „Bei so vielen Großzügigkeiten muss es einen Gott geben“, sagte sich Maik Förster. Von da an war er Christ.
Die Stasi beobachtete ihn, Förster, den Wehrdienstverweigerer, den Jugendgruppenleiter. „Meine Akte war 1000 Seiten lang, 21, IMs haben sie mir auf den Hals gehetzt“, sagt er. In seiner Stimme klingt ein bisschen Stolz mit. „Heute sagen alle, die hätten damals Widerstand geleistet – ich kann es wenigstens beweisen.“ Seine Akte hat er online gestellt. „Förster hält sich für einen Propheten“, heißt es an einer Stelle. „Er glaubt, das System der DDR breche nach 40 Jahren zusammen.“ Maik Förster grinst und sagt: „Vielleicht habe ich mich um eine Woche geirrt.“
Heute macht er selber Politik. Der Bibelgarten hat ihn auf die Idee gebracht. Damals, als er für sein Projekt kämpfte, gründete er die Liste „Christen für Pulsnitz“. Heute sitzt er im Ortschaftsrat von Oberlichtenau, im Pulsnitzer Stadtrat und im Kreistag Bautzen. Er setzt sich für schnelles Internet ein, „eines der wichtigsten Mittel gegen Abwanderung“, und ruft mit seinen provokant-konservativen Sprüchen Buhrufe und Klatschen zugleich hervor. Wenn es mal wieder um schwindende Einwohnerzahlen geht, verweist er auf das erste Gebot aus der Schöpfungsgeschichte: Seid fruchtbar und mehret euch! „Es macht Laune, sich einzubringen“, sagt Förster.
Zu Ostern gibt er Sonderführungen: Karfreitag zu Passion und Kreuzigung, Ostersonntag und Ostermontag zur Auferstehung. An der Tenne verlässt der Besucher den Bibelgarten. Der Platz diente früher dazu, die Spreu vom Weizen zu trennen. Maik Förster erklärt anhand ihrer Funktion noch schnell den Nahostkonflikt. Eine letzte Frage auf einer Schrifttafel: „Wirst du im Gericht Gottes bestehen können?“

Ein Bericht von Anna Hoben.