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Die Friedliche Revolution und ich

Wenn ich an die Zeit um die Wende denke, dann weiß ich noch genau: Es war eine sehr spannende, bewegte Zeit für mich.

Viele Details wären mir in den zurückliegenden Jahren längst in Vergessenheit geraten, wenn nicht Fremde für mich geradezu eine Art Tagebuch geführt hätten: Die Stasi.
Meine 1000 Seiten umfassenden Akte, verfasst von 21 „Redakteuren“,  liest sich für mich selbst spannend und bringt so manche vergessene Geschichte wieder in Erinnerung.
So zitiert mich beispielsweise auf S. 162  die Dienststelle Kamenz am 14.09.87 mit der Äußerung: „In der Bibel steht, dass alle 40 Jahre große geschichtliche Veränderungen zu erwarten sind, warum nicht auch im Grenzverkehr zwischen beiden deutschen Staaten?“
In der Tat war ich überzeugt davon, dass dieses Regime nicht ewig funktionieren könnte.
Für meinen persönlichen Weg zu dieser Erkenntnis war sehr prägend und entscheidend gewesen eine Reise nach Budapest 1984 zu einer Tagung des Lutherischen Weltbundes. Als jüngster Tagungsteilnehmer genoß ich dort die Freiheit der Meinungsäußerung und die Begegnung mit dem „Klassenfeind“.

Als Wehrdienst-Totalverweigerer und aktiver bekennender Christ stand ich unter der Aufsicht der Stasi. Das war mir durchaus bewußt.
Als Vertreter des Kirchenbezirkes Kamenz im Sächsischen Landesjugendkonvent der Ev.-Luth. Kirche kam ich mit dem Initiator der Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“, dem damaligen Landesjugendpfarrer Harald Brettschneider, in Kontakt.  Das Symbol dieser Bewegung  trug ich in einer Größe von ungefähr 1,20m Durchmesser  1987 zum Olof-Palme-Friedensmarsch durch die Dresdner Innenstadt. Eine in diesem Zusammenhang von den Fotografen der Stasi gemachte Aufnahme ist bekannt geworden und wurde mehrfach in Büchern, Ausstellungen und Publikationen über die Wende veröffentlicht....

Am Abend des 09. November 1989 schaute ich – wie sollte es anders sein - die Nachrtichten der aktuellen Kamera und hörte die Rede des Genossen Schabowsky über die sofortige Reisefreiheit.
Ich glaubte meinen Ohren kaum. Die halbe Nacht lang hörte ich im Deutschlandfunk, wie die Menschen auf der Mauer tanzen und da war für mich klar: „Da muss ich hin!“.
Am nächsten Morgen also lud ich meinen Vater in den Trabi, fuhr kurz in meinen Betrieb, um mich abzumelden (heute gab es wichtigeres zu tun, als beim Pulsnitzer Lebkuchen die elektrische Anlage zu überwachen) und dann ging es geradewegs nach Berlin.
Unterwegs im Auto hörten wir gemeinsam mit Tränen in den Augen die Reden der westdeutschen Politiker zu diesem Ereignis. Viel zu langsam fuhr der Trabi an diesem denkwürdigen Tag.
Wir parkten auf der Borsigstraße vor dem Sprachenkonvikt, einer mir gut bekannten theologischen Ausbildungsstätte. Von dort aus ging es zu Fuß über die Grenze – immer den Menschenmassen hinterher. Man konnte sich nicht verlaufen!
Massen über Massen wälzten sich durch die Straßen. Alle waren fröhlich und in Feierlaune.
Irgendwie kamen wir zum Bahnhof Zoo.
Dort wurde wie überall in der Stadt einfach gefeiert. Die Menschen lagen sich in den Armen und tanzten, weinten, lachten... Heute noch überfällt mich eine Gänsehaut, wenn ich die Filmaufnahmen aus diesen Tagen sehe. Da wurde Geschichte geschrieben und wir durften life dabei sein!
Erst in den Morgenstunden kamen wir wieder zu Hause in Oberlichtenau an, voller Eindrücke und voller Begeisterung.

Unter dem Eindruck der Maueröffnung fanden sich am darauffolgenden Sonntag Oberlichtenauer Heimatfreunde zusammen und organisierten eine „Demonstration mit Maueröffnung“ auf den Keulenberg. Der Berg der Heimat, welcher seit 1962 für die Bevölkerung gesperrt war, wurde wieder in Besitz genommen. Als verantwortlicher Kirchvorsteher ließ ich den Sonntagsgottesdienst des 12. November ausfallen zugunsten einer Teilnahme an der Demonstration und veranlasste lediglich, dass im Tale die Glocken läuteten, während wir auf dem Keulenberg die Herrnhuter Losung lasen und der Kirchenchor „Großer Gott wir loben dich“ anstimmte.
Nur wenige Wochen vorher, am 22.09.89 hatte ich mich auf dem Gipfel des Berges verloben wollen. Der Zutritt wurde uns jedoch  verwehrt. Vor den Augen eines verstörten Wachmannes und seines Hundes mussten wir damals außerhalb der Absperrung bleiben....

Am 03. Oktober 1990 war ich wieder in Berlin. Ich wollte dabeisein, wenn die Deutsche Einheit offiziell besiegelt wurde. Jahrelang hatte ich auf dieses Ereignis gehofft und daran geglaubt. Es war Bestandteil meines jungen Lebens.
Ich hatte etwas ganz Besonderes im Gepäck: Mein großes „Schwerter zu Pflugscharen“-Transparent vom Olof-Palme-Friedensmarsch. Es war meine tiefste Überzeugung, dass diese Bewegung maßgeblich bewirkt hatte, dass es zur politischen Wende in der DDR gekommen war. Das wollte ich der Weltöffentlichkeit mitteilen. Ich stand am Fuße des Brandenburger Tores mit Blick zur Bühne und hielt stundenlang dieses Transparent nach oben – über die Köpfe der feiernden Massen. Alle Fernsehsender der Welt und alle Fotografen würden so im Rahmen ihrer Berichterstattung die Botschaft der Wurzel der Wende in die Welt hinaus tragen.
Es war ja völlig klar, dass alle entscheidenden Aufnahmen, die später natürlich in den Geschichtsbüchern erscheinen würden, vom Brandenburger Tor als Berlins Wahrzeichen gemacht würden. Und alle würden immer wieder daran erinnert, dass mit  „Schwerter zu Pflugscharen“ alles angefangen hatte!
Die Arme wurden mir lahm, aber das war mir die Deutsche Einheit wert!!!
Zu dumm, dass die Weltöffentlichkeit von der östlichen Seite aus aufs Brandenburger Tor geschaut und ihre Aufnahmen gemacht hatte - ich stand  auf der Rückseite....
Bis heute habe ich nirgendwo ein Foto von der Vereinigungsfeier entdeckt, auf welchem ich mit meinem Transparent zu sehen bin.

Eine Woche nach der Vereinigung erhielt ich Post vom Kreis Wehrersatzamt mit der Frage, ob ich denn angesichts der deutschen Einheit meine „Einstellung zur Wehrbereitschaft“ geändert hätte. Beim Gesprächstermin standen vor mir die gut bekannten Leute von einst in neuer Uniform.
Willkommen in der Realität!


Maik S. Förster

Weitere Infos:
www.stasi-akte.de