2009-10-14
Betr. Sauerbruch - Brief an die Kreisräte des Kultur- und Bildungsausschuss
Liebe Kreisräte des KuBA,
in einer der nächsten Sitzungen wird uns das Thema Sauerbruch beschäftigen:
Das Gymnasium in Großröhrsdorf trägt den Namen des berühmten Arztes.
Diese Bildungseinrichtung ist in Trägerschaft des Landkreises Bautzen.
Die Schulkonferenz hat das Ablegen des Namens beschlossen.
Hintergrund ist eine Forschungsarbeit von Herrn Geralf Gemser, die Fragen zur Biographie des Dr. Sauerbruch während des 3. Reiches aufwirft.
Begründung der Schulkonferenz Sinngemäß - Um sich nicht ständig rechtfertigen zu müssen - soll der Name abgelegt werden.
Die letzte Entscheidung darüber fällt der Landkreis.
Die Ärzteschaft in und um Großröhrsdorf, die Stadtverwaltung Großröhrsdorf, ehemalige Schüler und Lehrer sehen dies anders und wollen den Namen beibehalten.
Dazu in der Anlage eine Stellungnahme des Ortspfarrers und eine umfangreiche Ausfertigung von Jörg Hauptmann.
Ich selbst stehe für die Beibehaltung des Namens, weil ich es für unerlässlich halte, unseren Jugendlichen Vorbilder zu geben, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Die Person Sauerbruch ist keine einfache Person - weil das Leben in einer Diktatur eben nicht einfach ist. Da gibt es nicht nur schwarz und weiß, sondern in jedem Leben auch die "Graustufen". Ich schätze Sauerbruch als einen, der an höchster Position seine Wege und Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um Zivilcourage und Menschlichkeit zu zeigen. Dass er andererseits nicht schuldlos geblieben ist, das liegt im Wesen der Diktatur. Ich halte es geradezu für anmaßend, aus der freiheitlichen Demokratie heraus beurteilen zu wollen, was Sauerbruch im Einzelfall zu tun oder zu lassen gehabt hätte - erst recht dann, wenn man wie Herr Geralf Gemser Diktatur nur noch vom Hörensagen kennt.
Mit freundlichen Grüßen
Maik S. Förster
fraktionsloser Kreisrat
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Ferdinand Sauerbruch – Nicht nur eine medizinische Größe, auch eine moralische Instanz!
Die Befürworter der Beibehaltung des Namens Sauerbruch unseres Gymnasiums betonen mit Recht seine unbestrittenen Leistungen in der Medizin. Aber Ferdinand Sauerbruch war darüber hinaus auch eine moralische Instanz, die unserer heutigen Schüler- und Lehrerschaft eben genau das liefert, was wir dringend benötigen: Vorbilder, die nicht nur fachliche Höchstleistungen aufzuweisen haben.
1. Sauerbruch widersprach der streng geheimen staatlichen Euthanasie-Aktion und setzte sich damit selbstlos (wenn auch erfolglos) für die Schwächsten der Gesellschaft ein. Bis heute hat diese Opfergruppe noch kein angemessenes Gedenken in unserer Gesellschaft erfahren. (Die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein wurde erst mehr als 50 Jahre nach Kriegsende eingerichtet!) Auch für zum Tode verurteilte Regimegegner wie Dietrich Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi und Otto Kiep setzte er sich ein.
2. Sauerbruch lehnte den Rassismus der Nazis ab. Er widersetzte sich Bestrebungen, die Medizin der nationalsozialistischen Weltanschauung und dem Konzept einer „naturgegebenen Ungleichheit der Menschen“ unterzuordnen. Vielmehr trat Sauerbruch für Freiheit und Internationalität der Wissenschaft ein. Für ihn war klar: Medizinische Leistungen sind nicht an Nationalität und Religion gebunden. Sein verehrter chirurgischer Lehrer der Breslauer Universitätsprofessor Jan Mikulicz-Radecki (1850-1905) hatte polnische und deutsche Vorfahren und sprach fließend fünf Sprachen.
3. Sauerbruch bemühte sich auch nach 1933 die guten Kontakte zu zahlreichen aus den Ämtern gedrängten jüdischen Kollegen nicht abreißen zu lassen und unterstützte emigrierte junge jüdische Ärzte mit Empfehlungsschreiben. Das war Solidarität pur. Er war einer der wenigen Trauergäste, die dem Sarg seines jüdischen Nachbarn Max Liebermann 1935 folgten und sich nicht durch den staatlich propagierten Antisemitismus einschüchtern ließ. Deshalb war er den Nazis ein Dorn im Auge. Der Reichsärzteführer Gerhard Wagner protestierte bei Hitler, dass der „Judenknecht“(!) Sauerbruch für den Nationalpreis nicht tragbar sei. (Vgl. Goebbels-Tagebücher: Eintrag 08.09.1937) Darum wurde ihm der immer wieder kritisierte „Deutsche Nationalpreis“ nur zu 50% zuerkannt.
4. Sauerbruch war kein Widerständler, aber er bot zeitweise dem Widerstandskreis um Olbricht, Goerdeler, Beck und Stauffenberg ungestörten Raum in seiner Berliner Wohnung. Nachweislich wurde 1943 Ludwig Beck zur Genesung und gegen den Widerstand der Gestapo nach Großröhrsdorf in die Sauerbruch-Villa verlegt. Damit zeigte er Zivilcourage. Vermutlich ist Sauerbruch einer Hinrichtung nach dem gescheiterten Hitler-Attentat nur entgangen, weil man ihn als Arzt so dringend brauchte.
5. Sauerbruch behandelte jeden Patienten ohne Ansehen der Person, unabhängig von dessen politischer Überzeugung und sozialer Herkunft, gemäß seinem medizinischen Auftrag. Gerade auch durch sein uneigennütziges Wirken nach dem Krieg wissen sich nicht nur etliche Großröhrsdorfer in Dankbarkeit mit ihm verbunden.
6. Sauerbruch gehörte nach dem Kriegsende zu den Mitunterzeichnern des Gründungsaufrufs der CDU in Berlin in der Hoffnung, dass nun ein neuer Geist die Gesellschaft prägen sollte.
Wissend, dass auch das Leben und Wirken von Ferdinand Sauerbruch unvollkommen und nicht frei von Irrtümern und Fehlern war, fordert der Namenspatron unseres Gymnasiums Schüler und Lehrer heraus, sich viel intensiver als in den bisherigen 17 Jahren mit der konkreten Geschichte zu beschäftigen. Gerade in der kritischen Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit Sauerbruchs können wir für unsere Zeit so wichtige moralische Qualitäten wie Zivilcourage, Toleranz, Mitmenschlichkeit und Solidarität gewinnen.
Norbert Littig
Pfarrer und Religionslehrer in Großröhrsdorf
Bitte anklicken: JÖrg Hauptmann - Sauerbruch-Dossier